Deutsche Gesellschaft für
Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V., Bonn

Die Entwicklung der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde im 19. Jahrhundert

Karl-Heinz Vosteen


- Einleitung
- Wurzeln der Otologie
- Die wissenschaftliche praktische Otologie
- Die erste otologische Zeitschrift
- Die Rolle Adam Politzers
- Die Entwicklung der Rhinologie
- Nasenpolypen und Tonsillen
- Die Entwicklung der Laryngologie
- Kehlkopferkrankungen - Diagnostik und Therapie
- Zusammenfassung
- Übersichtsliteratur



Einleitung
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Zeit der Gründung der medizinischen Spezialfächer, wie der Augenheilkunde, der Dermatologie oder auch der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde. Heterogen, wie der Name vermuten läßt, war auch der Ursprung dieses Faches.

Die Laryngologie entstand in den Medizinischen Kliniken, wo zur Behandlung der vielen Fälle von Kehlkopftuberkulose, Kehlkopfes etc. spezielle laryngologische Sprechstunden eingeführt wurden. Dies waren die damals am Kehlkopf vorherrschenden Erkrankungen.

Die Otologen waren vorwiegend Chirurgen, weil die operative Therapie die einzige erfolgversprechende Behandlung der Ohrenkrankheiten war. Sie hatten in der ersten Zeit ihre Patienten in Privatkliniken oder in den Chirurgischen Kliniken der großen Krankenhäuser behandelt und operiert.

Die Fortschritte der naturwissenschaftlichen Medizin waren die Voraussetzung zur Bildung medizinischer Spezialitäten. Aber auch das rasche Wachstum der Bevölkerungszahlcn in den Hauptstädten Europas begünstigte diese Entwicklung, weil dadurch auch große Patientenzahlen in den Krankenhäusern die Bildung spezieller Erfahrung ermöglichten. Paris, London, Wien, die großen drei Hauptstädte der alten Welt, waren auch die Plätze, auf denen die Otologie und die Laryngologie zuerst heranwuchsen. Berlin und die anderen deutschen Universitätsstädte kamen erst im letzten Drittel des Jahrhunderts hinzu.

Einzelne Wurzeln der Otologie ...
reichen schon in frühere Jahrhunderte zurück. Bereits im 16. Jahrhundert hat Capivacci (gestorben 1589) darauf aufmerksam gemacht, daß unterschiedliche Schwerhörigkeiten, wie z.B. Erkrankungen des Trommelfelles auf der einen Seite oder Erkrankungen des Nerven auf der anderen Seite auch dazu führen können, daß der Knochenleitungsklang entweder besonders gut oder besonders schlecht vernommen wird (s. Feldmann).

Aber diese Dinge gerieten in Vergessenheit, und erst, als man um die Mitte des 19. Jahrhunderts anfing, sich mit den Ohrenkrankheiten diagnostisch und therapeutisch auseinanderzusetzen, haben Weber (1834) und Rinne (1855) mit ihren Stimmgabelversuchen die gleichen Phänomene wiederentdeckt. Auch der Gellé-Versuch (1863) wurde praktisch erst dann interessant, als durch die Möglichkeit der Steigbügelchirurgie bei Otosklerose daraus operative Konsequenzen gezogen werden konnten. Erst die naturwissenschaftlichen Arbeiten von Helmholtz über die Möglichkeiten der Frequenzanalyse und ihrer Lokalisation im Innenohr (1863) brachten das Tonhöhen-Hörvermögen in den Mittelpunkt des Interesses.

Die vielen verschiedenen Methoden der Stimmgabelprüfung, die Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn dieses Jahrhunderts entwickelt wurden, bis hin zur "kontinuierlichen Tonreihe" des Münchner Ohrenarztes Bezold (1842 - 1908), wurden noch vor 40 Jahren an vielen Ohrenkliniken neben dem Audiometer in der Diagnostik benutzt.

Dem 20. Jahrhundert blieb dann die Entwicklung der Audiometrie (Schäfer und Kruschke, 1919, Griessmann und Schwartzkopf, 1919, Fowler ,1922) vorbehalten. Auch die systematischen Untersuchungen des Vestibularapparates begannen bereits am Beginn des 19. Jahrhunderts. Flourens (1794 — 1867) hatte schon 1824 seine Experimente am Bogengangssystem der Taube publiziert. Auf diese Untersuchungen konnte sich später Ménière (1861) bei der klassischen Beschreibung des nach ihm benannten Krankheitsbildes stützen.

Die vorwiegend in ungarischer Sprache publizierten experimentellen Arbeiten von Högyes (1881) blieben im westlichen Europa lange Zeit unbekannt. Ob Bárány diese Arbeiten gekannt hat, wurde nie geklärt. Báránys Experimente selbst gehen dann allerdings schon auf den Anfang des 20. Jahrhunderts zurück, als er an der Klinik von Politzer in Wien zusammen mit Neumann und Alexander über die Genese des kalorischen Nystagmus diskutierte. Seine Publikation "Physiologie und Pathologie des Bogengangsapparates" (1907) brachte ihm den Nobelpreis.

Der weitere Ausbau der Vestibularisprüfungen, vor allem mit der Entwicklung der Elektronystagmographie durch Jung und Mittermaier ist dann schon fast Gegenwart.

Die wissenschaftliche praktische Otologie ...
des 19. Jahrhunderts begann in Frankreich mit Itard. Sein Lehrbuch "Traité des maladies de l'oreille et de l'audition" aus dem Jahre 1821 faßte die Erfahrungen der damaligen Zeit zusammen und stellte die Otologie auf eine wissenschaftliche Basis. Sein Nachfolger als Direktor der Pariser Taubstummenanstalt war Prosper Ménière (1799 — 1862), dessen Vortrag am 8. 1. 1861 vor der kaiserlichen Akademie in Paris über das Krankheitsbild, welches seinen Namen trägt, noch heute aktuell ist.

Der Berliner Arzt Wilhelm Kramer (1801 — 1875) trat 1835 mit seinem Buch „Die Erkenntnis und Heilung der Ohrenkrankheiten" an die Öffentlichkeit. Er war der erste deutsche Arzt, der sich auf diese Krankheiten konzentrierte und darüber ein umfassendes Werk verfaßt hat. Seine noch aus der Romantik und der Naturphilosophie herstammende Ablehnung aller naturwissenschaftlichen und experimentellen Medizin führte aber dazu, daß die Entwicklung über ihn hinwegschritt. Das Zentrum der zunächst pathologisch-anatomisch bestimmten wissenschaftlichen Otologie wurde Großbritannien. Sir William Wilde in Dublin, der Vater von Oscar Wilde, war hier der führende klinische Otologie (1815-1876). Sein Buch "Aural Surgery" (1853) gab zahlreiche praktische Anweisungen für die operative Therapie der Ohrkrankheiten.

"Should the mastoid process become engorged or even an indistinct sense of fluctuation be discovered, we should not hesitate to make a free incision at least an inch in length". Dies war der nach ihm benannte "Wildesche Schnitt" auf dem Planum des Warzenfortsatzes bei Mastoiditis. Der Begründer der modernen Otologie wurde aber Joseph Toynbee in London (1815 - 1866). Er hat ungefähr 2000 Felsenbeine morphologisch untersucht und die Summe seiner klinischen und pathologischen Erfahrungen in seinem 1860 publizierten Werk "Diseases of the Ear" zusammengefaßt.

Allerdings haben weder Wilde noch Toynbee jemals Warzenfortsatzchirurgie betrieben. Die systematische Entwicklung dieser Operationen blieb den deutschen Otologen Anton von Tröltsch (1829-1890), Friedrich Bezold (1842- 1908), Hermann Schwartze (l837 - 1900) sowie Ludwig Stacke und Emanuel Zaufal vorbehalten. Es war allerdings der Chirurg Ernst Küster, der bei chronischen Eiterungen auch die Fortnahme der hinteren Gehörgangswand forderte (1899), und es war der Chirurg Ernst von Bergmann, welcher dieser Operation den Namen „Radikaloperation des Ohres" gab.

Von Tröltsch, ursprünglich Ophthalmologe, ging nach England zu Wilde und später zu Toynbee und widmete sich, nach Würzburg zurückgekehrt, ausschließlich der Otologie. Den bereits 1841 von Hofmann in Burgsteinfurt entwickelten Konkavspiegel zur Untersuchung des Trommelfelles entdeckte er erneut und begann mit systematischen pathologisch-anatomischen Arbeiten sowie diagnostischer und operativer Tätigkeit in Würzburg.

Die erste Otologische Zeitschrift
Gemeinsam mit Hermann Schwartze in Halle (1837-1900) und Adam Politzer in Wien (1835-1920) begründete er 1864 die erste Otologische Zeitschrift, das „Archiv für Ohrenheilkunde". Durch die Entwicklung der Antrotomie und Mastoidektomie sowie der Radikaloperation des Mittelohres bei eitriger Mastoiditis und bei chronischer Otitis war die Universität Halle in diesen Jahren rasch zum Zentrum der operativen Ohrchirurgie geworden.

Die bekannteste Persönlichkeit unter den Otologen des ausgehenden 19. Jahrhunderts
war aber zweifellos der aus Ungarn stammende, in Wien arbeitende Adam Politzer (1835 — 1920). Er hatte nach seinem Studium zunächst ausschließlich physiologisch, morphologisch und experimentell am Mittelohr, am M. tensor tympani und an der Ohrtrompete gearbeitet, hatte die wesentlichen Institute seiner Zeit in Heidelberg unter Helmholtz, in Paris unter Claude Bernard sowie die Zentren der Otologie in London und Würzburg besucht und sich schnell durch seine theoretischen Arbeiten einen Namen gemacht.

Dennoch ist erstaunlich, dass die Wiener Fakultät den Mut besaß, ihn schon nach seiner Rückkehr von seinen Studienreisen trotz mangelnder praktischer Erfahrung zum Dozenten für Otologie und einige Jahre später zum ersten Professor der Otologie und dann auch zum Leiter der Universitäts-Ohrenklinik — die allerdings nur aus einer Poliklinik und einer kleinen Bettenstation bestand — zu machen. Diese Klinik Politzers wurde in kurzer Zeit die bedeutendste otologische Schule überhaupt. Seine Arbeiten über die Behandlung der Funktionsstörungen der Ohrtrompete, über die adhaesive Otitis und über die Pathogenese des Cholesteatoms sowie die Entdeckung der Otosklerose als eigenes Krankheitsbild sind heute noch lesenswert. Aus seiner Schule sind bedeutende Otologen wie Barany, Neumann und Alexander hervorgegangen.

Die Entwicklung der Rhinologie ...
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts steht ein wenig im Hintergrund. Zwar hatte schon der Chirurg Langenbeck 1842 Exostosen und Verdickungen der Nasenscheidewand beschrieben. Aber ein systematischer Ausbau der Septumchirurgie konnte erst mit der Einführung des Kokains als Anästhetikum durch Koller und Jelinek 1884 beginnen. Die ersten Septumoperationen (Asch, 1890) basierten auf der Fraktur der Nasenscheidewand, und erst Killian begann 1900 mit dem Ausbau seiner modernen submukösen Septumresektion.

Die ersten Lehrbücher der Rhinologie stammen von Spencer Watson (1875) und von Morell Mackenzie in seinem klassischen Werk "Diseases of the Throat and the Nose". Der Amerikaner H. P. Caldwell (1893) und der Franzose G. W. Luc (1894) haben unabhängig von einander die Radikaloperation der Kieferhöhle nach Eröffnung von der Fossa canina aus beschrieben. Die Methode trägt ihren Namen. 1884 und 1885 entwickelten Jansen und dann Killian ihre Methoden der Stirnhöhlenoperation.

Nasenpolypen und Tonsillen
Nasenpolypen wurden schon 1854 von Billroth beschrieben. Er hielt sie für ödematöse Gewächse. Virchow (1863) glaubte, daß es sich um myxomatöse Gebilde handeln müsse, und erst Edward Woaks in London vertrat den Standpunkt, da8 es sich um aufgequollene Schleimhaut, vorwiegend aus dem Siebbein, handeln müsse.

Die Anatomie der Tonsillen hat zuerst der Würzburger Anatom Kölliker makroskopisch und mikroskopisch eingehend beschrieben (1852). Die endgültige Beschreibung der feineren Struktur stammt allerdings von Waldeyer (1884). Die Tonsillektomie war bei den alten Chirurgen wegen der Blutung noch sehr gefürchtet. Erst Morell Mackenzie entwickelte eine brauchbare Tonsillektomiemethode, die wir allerdings heute wohl eher als Tonsillotomie bezeichnen würden. Er benutzte dazu ein von Phillip Physick aus Philadelphia gebautes Tonsillotom, welches etwa dem heute noch unter dem Namen "Fahnenstock" bekannten Instrument entspricht.

Koelliker vermutete, daß ähnliches Gewebe wie in den Gaumentonsillen auch im Nasopharynx vorliegen müßte (1852). Yearsley, ein Londoner Arzt, hat 1842 zuerst "Schleimhaut hinter der Uvula" entfernt, um das Gehör zu verbessern. Der Kopenhagener Arzt Hans Wilhelm Meyer (1824 — 1895) war dann der erste, der 1868 eine präzise Beschreibung der Rachenmandel (Adenoide) lieferte. Er beschrieb anhand von zahlreichen Fällen die Zeichen und Symptome einer Hyperplasie der Rachenmandel so präzise, daß sie für jeden zu diagnostizieren waren. Er beschrieb eine Methode zur Adenotomie mit Hilfe eines Ringmessers, und erkannte auch die günstigen Folgen der Adenotomie für die Nasenatmung und für die Belüftung des Mittelohres. Zu seinen Ehren wurde 1898 auf dem Gefionplatz in Kopenhagen eine Statue errichtet.

Die Entwicklung der Laryngologie ...
war die unmittelbare Folge der Entdeckung des Kehlkopfspiegels durch den in London lebenden spanischen Gesangslehrer Manuel Garcia. Dieser war 1848 im Gefolge des vor der Revolution flüchtenden Königs Louis Philippe nach London gelangt und lebte jetzt hier als Professor an der Musikakademie. Er hatte sich schon lange mit den Fragen der Kehlkopfphysiologie beschäftigt, als ihm während eines Urlaubs in Paris der Gedanke kam, durch eine bestimmte Anordnung von Spiegeln die Stimmbänder selbst sichtbar zu machen. Die Spiegel baute ihm der bekannte Pariser Instrumentenmacher Charriere, und Garcia konnte wenig später seine Methode in London demonstrieren (1854).

In Wien begann zwei Jahre später der Neurologe Ludwig Türck, mit dieser Methode Patienten in seinem Hospital zu untersuchen. Der in Budapest lebende Arzt und Physiologe Nepomuk Czermak, ebenfalls interessiert an der Untersuchung des Kehlkopfes, borgte sich die Spiegel von Türck, benutzte künstliches Licht und begann ebenfalls mit der Untersuchung von Patienten.

Ein heftiger Prioritätsstreit (der sogenannte "Türckenkrieg") entbrannte, aber gerade dieser Streit war die Ursache dafür, da8 die Methode schnellste Verbreitung fand. Sie blieb zunächst noch fast überall in der Hand der Internisten, und nur an wenigen Plätzen (Morell Mackenzie London, Schrotter und Stoerck in Wien) entstanden Spezialkliniken.
Die technischen Schwierigkeiten bei endolaryngealen Eingriffen erforderten aber große Erfahrung und manuelle Geschicklichkeit. Sie standen deshalb einer weiten Verbreitung dieser Technik so lange im Wege, bis 188s auf Anregung von Sigmund Freud Koller das Kokain als Lokalanästhetikum in die operative Augenheilkunde und Jelinek, ein Schüler von Schrötter, das Kokain in die Laryngologie eingeführt haben. Damit wurde alles ganz einfach und die Spezialisierung überflüssig.

Kehlkopferkrankungen - Diagnostik und Therapie
Der erste Bericht über einen Kehlkopfkrebs stammt von Morgagni (1732, Sektionsbericht). 1798 wurde erstmals die Entfernung eines Fremdkörpers über die Laryngofissur durch Pelletan bekannt. Die Einführung der Spiegeluntersuchung des Kehlkopfes in die Klinik durch Türck und Czermak (1858) klärte auch das Krankheitsbild des Kehlkopfkrebses. Für die Therapie entstand eher zunächst eine Zweigleisigkeit: Die lebensbedrohlichen Formen machten rettende Operationen erforderlich, welche ausschließlich in den Händen der Chirurgen blieben. Die Laryngologie beschränkte sich lange Zeit auf Diagnose, Festlegung der Prognose und endolaryngeale Eingriffe von der Biopsie bis zur Entfernung von Polypen. Die erste Kehlkopftotalexstirpation bei einem Kehlkopfkrebs gelang Billroth l873 (publiziert durch Gussenbauer).

Die erste Pharynxquerresektion gelang Langenbeck. Mit den verbesserten Operationsmethoden von Gluck und Soerensen, die bis heute gültig geblieben sind, verschwand schließlich die primäre Operationsmortalität (anfänglich 80% , heute weniger als 1%).

Das neunzehnte Jahrhundert endete mit der Entdeckung der Röntgenstrahlen und des Radiums. Das erste Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts bringt praktisch schon fast alle Kehlkopfoperationen durch die Laryngologie und auch die Einführung der Strahlentherapie. Die Strahlentherapie war zunächst nicht erfolgreich wegen der zahlreichen Versager und wegen ihrer katastrophalen Folgen. Besserung erreichte man dann die fraktioniert-protrahierte Bestrahlung und die Radiumkontakbestrahlung.

Das zweite Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts brachte die Entwicklung der funktionserhaltenden Teilresektion, das dritte Viertel schließlich zahlreiche Techniken zur funktionellen Rekonstruktion nach Totalexstirpation. In der Strahlentherapie begann jetzt die Nutzung der Fortschritte der Kernphysik mit Übergang auf Teleradium, Telekobalt, schnelle Elektronen, Hochvolt-Röntgentherapie, Neutronen und Protonen sowie die Präzisierung der Dosimetrie unter Hinzunahme der Computertomographie.

Zusammenfassung
Die einzelnen Zweige der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde waren somit schon Ende des 19. Jahrhunderts als Spezialfächer etabliert. Ihrer Verbindung standen aber noch viele Schwierigkeiten im Wege. Besonders die Laryngologen, Mitglieder einer kleinen exklusiven Gruppe, fürchteten, von den Otologen usurpiert zu werden.

Auf Dauer war es aber gerade die Einführung der Lokalanästhesie, welche die ausschließliche Beschäftigung mit einem so kleinen Fach der Laryngologie überflüssig und damit auch wirtschaftlich zweifelhaft machte. So wurde schließlich auch der Widerstand der Laryngologen und Rhinologen gegen eine Verschmelzung mit der Ohrenheilkunde ausgehöhlt. Zuerst gab es gemeinsame Vertretungen von Otologie und Laryngologie an den Schweizer Universitäten Basel und Bern schon Ende des 19. Jahrhunderts. In Rostock wurde 1891 die erste deutsche Universitäts-HNO-Klinik gegründet (Körner).

In Berlin gab es heftige Widerstände gegen eine Verschmelzung beider Fächer. Der Otologe Passow, welcher dafür plädierte und der deutsch-englische Laryngologe Semon, welcher heftig dagegen stritt, wandten sich beide an den Kaiser Wilhelm II. und versuchten, ihn sich zum Bundesgenossen zu machen. Erst 1922 konnte von Eicken die Vereinigung beider Fächer in Berlin erreichen und die Leitung einer Ohren-Nasen-Halsklinik übernehmen. Als letzte deutsche Universitätsklinik erreichte schließlich München 1934 die Vereinigung der Lehrstühle für Otologie und Laryngologie.

Übersichtsliteratur:
Eulner, HH (1970) Die Entwicklung der medizinischen Spezialfächer an den Universitäten des deutschen Sprachgebietes. Ferdinand Enke-Verlag, Stuttgart.

Feldmann, H (1960) Die geschichtliche Entwicklung der Hörprüfungsmethoden. Georg Thieme-Verlag, Stuttgart.

Lesky, E (1978) Die Wiener Medizinische Schule im 19. Jahrhundert. Verlag Bölau, Graz, Köln.

Politzer, A (1967) Geschichte der Ohrenheilkunde, 1911. Nachdruck Georg Olms, Verlagsbuchhandlung Hildesheim

Stevenson, RS und D Guthrie (1949) The History of Otolaryngology. Verlag Livingstone, Edinburgh. Wodak, E (1956) Kurze Geschichte der Vestibularistorschung. Georg Thieme-Verlag, Stuttgart.

 

Beitrag aus:
Akademische Lehrstätten und Lehrer der Oto-Rhino-Laryngologie in Deutschland im 20. Jahrhundert
zusammengestellt und bearbeitet von Konrad Fleischer und Hans Heinz Naumann
Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie anläßlich ihres 75-jährigen Jubiläums 1996